Demokratie ist nicht in Stein gemeisselt
Bolsonaro-Anhängerinnen dringen in Brasilia in Parlaments-, Regierungs- und Justizgebäude ein und hinterlassen ein Bild der Zerstörung. Zwei Jahre zuvor der Sturm aufs Kapitol in Washington, wo wild gewordene Trump-Anhänger sogar Abgeordnete und Sicherheitskräfte bedrohen. Wir müssen fassungslos zusehen, wie sicher geglaubte demokratische Institutionen mit dem Mantra «gestohlene Wahlen» ins Wanken geraten.
Ja, das geschieht zugegebenermassen weit weg von unserer beschaulichen Schweiz, unserem wunderschönen Winterthur, wo wir uns der demokratischen Strukturen sicher sein können. Wirklich?
Einen Sturm aufs Bundeshaus oder auf den Superblock wird es hoffentlich nie geben. Es gibt aber Ereignisse, die im Kern an die Zerbrechlichkeit der Demokratie erinnern. So wurde das Covid-Gesetz etwa trotz deutlichem Stimmenmehr von einer beachtlichen Zahl Menschen als diktatorische Massnahme bezeichnet und nicht respektiert. Ein anderes Beispiel: In Winterthurer Quartieren wird zurzeit Tempo 30 auf Strassenabschnitten eingeführt oder geprüft, ein demokratisch legitimierter Auftrag. Gewählte Politikerinnen und Politiker werden in den Sozialen Medien in diesem Zusammenhang als eine Art Unfall stilisiert, und es wird gedroht, dass «dieser Fehler dann bei den nächsten Wahlen schon korrigiert» werde. Respektlosigkeit wird so nicht nur den verantwortlichen Amtsträgerinnen und -trägern zuteil, die einen Volks- oder Parlamentsauftrag erfüllen, sondern auch den demokratischen Institutionen und damit dem Stimmvolk.
Undemokratische, ja diskriminierende Kommentare haben unter anderem dazu geführt, dass Kantonsrätin Sarah Akanji den Bettel hinschmeisst und nicht mehr zur Wahl antritt. Mitverursacht von Menschen, die nicht gewillt sind, einen respektvollen – und damit demokratischen – Umgang mit unserer diversen Gesellschaft zu pflegen.
Wir sind am Anfang eines Wahljahres. Im Februar stellen wir im Kanton, im Herbst dann auf nationaler Ebene die Weichen. Demokratie ist nicht in Stein gemeisselt, wir müssen uns täglich dafür einsetzen – mit Respekt vor den bewährten Institutionen und gegenüber unseren Mitmenschen. Wirken Sie mit, informieren Sie sich über die Kandidatinnen und Kandidaten, setzen Sie sich mit ihnen auseinander, seien Sie kritisch und stellen Sie hohe Erwartungen. Und akzeptieren Sie dann den Willen der Bevölkerung. So funktioniert Demokratie. Danke, dass Sie wählen gehen.
Christa Meier
Vorsteherin Departement Bau, Stadt Winterthur